SCHWEIZERHAUS

Temporäre Intervention

Anlässlich des Tags des offenen Denkmals und der Rumpenheimer Kunsttage



Das Schweizerhaus im Schlosspark Rumpenheim

„Gibt es doch gar nicht. Kenne ich nicht. Habe ich nie gesehen.“ Eben. Das ist die Motivation des Kunstprojekts. Denn Reaktionen wie diese dürften die Regel sein, wenn man Rumpenheimer, auch Alteingesessene, nach einem „Schweizerhaus“ im Schlosspark Rumpenheim fragt. Tatsächlich sind von diesem Schweizerhaus – neben einer Hinweistafel – nur noch steinerne Reste des Fundaments erhalten, an der südöstlichen Seite des Parks, nicht weit entfernt von der Parkmauer zur Schlossgartenstraße. Die historische Wegführung wurde erst im Zuge der Schlosspark-Umgestaltung 2018/2019 wieder angelegt. Auch viele Menschen, die gerne durch den Park flanieren, haben den Sockel und die beiden Treppenstufen vielleicht noch nie bewusst wahrgenommen.

Drei Tage der Rekonstruktion

Eine temporäre Intervention hat dies an zwei Wochenenden im September 2021 geändert – und lokale Geschichte erlebbar gemacht. Für den Künstler Matthias Block, selbst seit Jahrzehnten Rumpenheimer, gab es gleich zwei Anlässe, das Schweizerhaus für kurze Zeit wiederauferstehen zu lassen: den bundesweiten „Tag des offenen Denkmals“ am 12.09.2021 (unterstützt durch die Bürgerinitiative Rumpenheim) und die „Rumpenheimer Kunsttage“ am 17. und 18.09.2021 (veranstaltet von KUNST.ORT.RUMPENHEIM)

Schweizerstil im Schlosspark

Gartenhäuser im sogenannten Schweizerstil oder auch Schweizerhaus-Stil waren im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausstattungselement von Landschaftsgärten. Das kleine Schweizerhaus im Schlosspark Rumpenheim wurde vermutlich im Zuge der Parkerweiterung 1858 errichtet. Erstmals erwähnt wird es jedenfalls in einer Beschreibung aus dem Jahr 1862. Eine Fotografie, die um 1870 entstanden ist, dokumentiert den damaligen Zustand. Vermutlich diente das Haus aus Ziegelfachwerk mit zwei kleinen Räumen zunächst als Ruheplatz und vielleicht auch als Spielhaus. Im 20. Jahrhundert nutzte es der Verwalter Fischer als Gartenhaus – er legte dort Gemüsebeete an. 1965 muss das Schweizerhaus, von dem damals wohl nur noch Mauerwerk stand, endgültig baufällig gewesen sein: Es wurde abgerissen. Kennzeichnend für diese Schweizerhäuser, die im sich industrialisierenden 19. Jahrhundert trotzig vom Glück in der Natur zu künden scheinen, ist das flachgeneigte und rundum weit vorkragende Dach, mit Überstand an Giebel und Traufe. Typisch sind auch die üppigen Verzierungen aus Brettschnitzereien – das Schweizerhaus im Schlosspark zeigte sie an seinem Dach und an der Balustrade.

Wenn Alltag fremd wird

Wie alle temporären Installationen von Matthias Block tritt auch diese Rekonstruktion des Schweizerhauses in eine enge Wechselwirkung mit ihrem Ort – in diesem Fall ist sie sogar zwingend an ihn gebunden. Dabei ist der Künstler überzeugt: Richtig sieht man seine Umgebung erst, wenn sie ihre Vertrautheit verliert. Wenn man aufgefordert ist, sie neu wahrzunehmen. Seine temporären Großinstallationen bewegen sich stets an der Schnittstelle von Vertrautem und Fremdem, weichen die Kategorien unserer Wahrnehmung auf und integrieren ein irritierendes Moment in unsere Alltagserfahrung – wie beim Wiedererscheinen des längst vergangenen Gartenhauses.

Staffage und Sehnsuchtsort

Ausgehend von gleichsam archäologischen Resten macht die Schweizerhaus-Installation Vergangenheit sichtbar. Dabei greift die Konstruktion die Dimensionen des verschwundenen Gebäudes genau auf. Auch hölzerne Elemente wie Windbretter, Giebelschmuck und Brettschnitzereien bildet Matthias Block dem Original nach – wenngleich aus anderen Materialien. In einem gewissen Sinn treibt die Rekonstruktion den Staffagebau der alten Schweizerhäuser auf die Spitze, wie eine abstrahierte Filmkulisse. Denn das vermeintlich alpenländische Gartenhaus, Sehnsuchtsort des 19. Jahrhunderts, behauptet, Natur sei Wahrheit. Selbst wenn sich diese Wahrheit aus olivgrünen Glasfaserstäben von Bundeswehrtarnzelten und goldlackierten Hartschaumplatten zusammensetzt. Jeder Betrachter darf selbst entscheiden, ob mit der temporären Installation nicht nur das Schweizerhaus im Schlosspark Rumpenheim, sondern auch etwas von dessen alter Idee des Glücks in der Natur wiederaufersteht.

Text: Thomas Möller

Das Projekt wurde mit Unterstützung durch das Kulturamt der Stadt Offenbach realisiert.